- Satirewarnung ein -
Ich meine, da sind Großmutter und Mutter, und beide sind ganz vernarrt in dieses Gör, sodass sie gar nicht mehr wissen, was für ein Aufheben sie noch um "die kleine süße Dirne" machen sollen und da schickt die Mutter das Kind in den Wald?
Weiß denn die gute Frau gar nicht, dass es Wölfe gibt?
Oder ist das etwa Absicht?
Steckt da vielleicht Eifersucht auf die eigene Tochter dahinter, wie beim Schneewittchen? Denkt die Mutter: Soll das Gör doch in den Wald gehen und gefressen werden, bin ich das verzogene Ding los?
Oder hat sich die Mutter, bei 1000 Gelegenheiten schon den Mund fusselig geredet und meint nun, es sei genug der Worte, das Mädchen soll seine eigenen Erfahrungen machen?
Wenigstens warnt die Mutter davor, vom Weg abzugehen, weil man sonst hinfällt und das Glas, der Weinflasche zerbrechen könnte.
Daher kommt übrigens der Spruch vom gefallenen Mädchen!
Und damit die Kleine auch ja auffällt, wird auf Flecktarn verzichtet und das Kind kriegt eine rote Kappe auf den Kopf.
Aber war es eigentlich eine Kappe? War es nicht eher eine Kappa? Ein Umhang, vielleicht mit Kapuze?
Überhaupt diese Kappe ... wahrscheinlich ist das ja auch wieder ein bisschen Selbstzweck. Welche Mutter putzt denn ihren Liebling nicht gerne heraus, um zu zeigen, dass man es sich leisten kann? Und welche Großmutter lässt sich das nicht zwei Mal sagen und setzt noch einen oben drauf?
Ich vermute, Rotkäppchen mochte dieses Kleidungsstück gar nicht. Die meisten Kinder mögen die Klamotten nicht, die Erwachsene so toll finden und ehrlich ... ich glaube Rotkäppchen hätte für einen anständigen Namen auf sämtliche Kapuzen verzichtet.
Aber wahrscheinlich bildet sie sich doch was drauf ein. Samt war ja in früheren Zeiten schon was Edles.
Also, die ... Ich-verstecke-mein-Kind-unter-der-Tarnkappe-Theorie greift jedenfalls hier nicht!
Nicht gelb, nicht blau, nicht lila - nein die Farbe des Blutes und des Lebens muss es sein. Deutlicher kann ein Wink mit dem Zaunpfahl wohl nicht ausfallen. Greifen wir in die Freud'sche Wunderkiste: Das Kind hat wohl seine Monatsblutung schon und ist womöglich gar nicht klein und unschuldig?
Falls nun der Wolf doch besser riechen, als sehen sollte: Die Mutter gibt einen frischen Kuchen mit!
Ich unterstelle der Mutter also, das Kind absichtlich so auffällig auszustatten, damit es nur ja einen abkriegt? Damit das Balg endlich erwachsen wird und aus dem Haus ist? Seltsame Methode, aber die Überlegung hat was. Nun ja, wir werden sehen...
Der Vater scheint gerade, wie zufällig, auf der Arbeit zu sein und kriegt von der Sache nichts mit.
Stellen wir uns also vor, ein reichlich verzogenes, eingebildetes Mädchen, geht völlig ahnungslos durch den Wald und trifft auf einen Fremden, von dem sie sogar weiß: das ist der Wolf. Was sie nicht weiß: Wölfe sind gefährlich. Und gerade, die welche am freundlichsten tun und einem bis ins Haus nachlaufen, sind die schlimmsten. Die haben nämlich bestimmt Tollwut.
Hat sie wirklich keine Ahnung, weil ihre Mutter ihr nie Angst vor Wölfen gemacht hat, oder spielt sie mit dem Feuer, im Vertrauen darauf, dass sie so was Besonderes ist, dass ihr bestimmt nichts passiert?
Oder freut sie sich, jemanden zu treffen, der ihr schmeichelt und lässt sich gerne einwickeln? Oder hat sie sich nur deshalb breitschlagen lassen, zur Großmutter zu gehen, um im Wald endlich Mal ein Abenteuer zu erleben.
Nun ja, alle Möglichkeiten sind vorstellbar und egal welche, die Rechnung geht auf jeden Fall auf.
Der Wolf scheint dem Kind wirklich nichts tun zu wollen und hier kommt einem doch der Verdacht, dass dieser Wolf kein echter ist.
Ich meine, ist doch unlogisch, erst die Großmutter zu fressen und dann zu warten, bis das Kind kommt, das es sich ja vielleicht noch anders überlegen könnte. Das Mädchen könnte sich auch im Wald verlaufen... Ein echter Wolf hätte das Kind ohne langes Federlesen gleich gefressen und ihm keine Blümchen auf der Wiese gezeigt.
Der Wolf hatte hier scheinbar etwas ganz anderes im Sinn.
Im Märchen jedenfalls, kommt das Mädchen also zum Häuschen und was findet es?
Sicher keinen vollgefressenen Wolf!
Jeder weiß wie groß so ein Wolf ist und dass in so ein Tier kein ganzer Mensch passt. Ich denke der Wolf hatte die Großmutter zum Fressen gern und lag mit ihr im Bett, ohne sie im Magen zu haben. Die beiden kennen sich vielleicht schon eine ganze Weile. Dafür würde sprechen, dass die Großmutter nicht abgeschlossen hat und der Wolf es eigentlich nicht nötig hat, sich zu verstellen. Er muss nämlich nur die Klinke herunterdrücken um ins Haus zu gelangen.
Wenn Erwachsene in solch einer Situation ertappt werden, fällt ihnen oft nur unlogisches Gefasel ein. Der Wolf ist zwar Herr der Situation, aber auch nicht besonders kreativ. Er bleibt glatt bei der Wahrheit, als das Rotkäppchen zum Beispiel nach seinen großen Augen fragt.
Auf jeden Fall ist es sehr taktvoll und tut so, als sei es halb blind, als es den Wolf mit Großmutter anspricht, was des Mädchens Raffinesse ein Mal mehr beweist. Vielleicht ist sie ja auch nur verlegen.
Eigentlich wäre ja jetzt der Zeitpunkt für das Mädchen gekommen, sich unauffällig zurückzuziehen und die Großen ihren Spielen zu überlassen.
Aber nein, sie muss den Wolf in ein Gespräch verwickeln, dass eindeutiger nicht sein könnte. Sie fragt nicht nur nach seinen Augen, sondern auch nach seinem Mund und den Händen.
Er hält sich eine Weile mit Reden auf und zurück, doch dann merkt er scheinbar, dass die Kleine nicht so schnell verschwinden wird und macht auch sie mit dem Mann im Wolf bekannt.
Ich weiß ja nicht, ob die Mutter so weit dachte, als sie das Mädchen losschickte zum Erfahrungen sammeln...
So ... letzter Akt. Der Jäger kommt vorbei. Eine ziemlich blasse Gestalt, nebenbei bemerkt. Er kriegt Wind von der ganzen Sache und schleicht sich ins Haus. Die Großmutter und Rotkäppchen sind natürlich völlig unschuldig und alleiniger Übeltäter ist der Wolf, der ahnungslos schläft. Wie immer ... hinterher.
Großmütter sind ja doch meistens eher konservativ. Da wählt man doch lieber einen Mann mit Beruf, der in seinem Lodengrün und mit Gamsbart am Hut, auch ganz fesch aussieht, statt einen herumzigeunernden Liebhaber, der es mit allem nicht so ganz genau zu nehmen scheint und nichts drauf hat, als ein paar charmante Sprüche und ein wildes Äußeres.
Schade, dass Rotkäppchen mit dem Jäger und der Großmutter gemeinsame Sache macht und den Wolf, der ihr ja angeblich keinen Schaden zugefügt hat, nicht aufweckt.
Das Ende des Dramas, ist natürlich genauso unlogisch, wie das ganze Märchen. Der Jäger erschießt den Bösewicht nicht. Nein, heimlich, still und leise, wird der arme Wolf vergiftet. Von Schmerzen gequält fällt er sich tot.
Auf der anderen Seite... hätte der Jäger geschossen, hätte vielleicht irgend jemand unbequeme Fragen gestellt. Und der Pelz den der Jäger mitnimmt, hätte ein Loch gehabt. So kann er aber als Verkleidung wiederverwendet werden.
Ich nehme an, das Schweigen des Jägers zu dem ganzen Vorfall, wird die beiden Frauen dann noch ziemlich teuer zu stehen gekommen sein.
Aber das intressiert an dieser Stelle nicht mehr wirklich.
Abschließend möchte ich sagen, dass in Anbetracht, der sich hier auftuenden Abgründe, ich den Märchenkritikern voll und ganz Recht gebe, wenn sie sagen, dieses Märchen sei für Kinder nicht geeignet.
- Satirewarnung aus -
Bei der Recherche zu Rate gezogen:
Bruno Bettelheims "Kinder brauchen Märchen"
Der Mann ist umstritten, doch im Bereich Märchen immernoch eine der ersten Anlaufstellen, der oben genannte Titel ein Standardwerk.
Brauchen Kinder Märchen mit ihren sexuellen Anspielungen, ihren Grausamkeit und Katastrophen? Ein klares Ja! Kinder brauchen gesprochene Wörter, die Platz für eigene Fantasien lassen, statt vorgefertigtes Bilderfutter aus dem TV! Kinder brauchen Geschichten, die die Welt und die Menschen so zeigen, wie sie sein können. Kinder brauchen die körperliche Nähe und die Zuwendung beim Erzählen, statt eine Tüte Chips und eine Videokassette. Fast 400 Seiten zum Warum schrieb Bettelheim.
Ok - eher ein Fachbuch für Psychologen und Pädagogen, aber trotzdem ungemein spannend - finde ich.
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